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„Es geht immer um Atmosphäre“ - Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Architekt Hans Gangoly

Hans Gangoly, Architekt und Leiter des Instituts für Gebäudelehre an der TU Graz, über die Frage, was an historischen Gebäuden so faszinierend ist, warum man sie viel mehr nutzen sollte und dass man nie nur für sich selbst baut.

 

Wann hat für Sie ein Gebäude Leben?
Funktion und Bedeutung des Gebäudes müssen über die Form und die Materialisierung zum Ausdruck kommen. Früher hat die Art und Weise, wie man gebaut hat, zu Konventionen geführt. Wenn ein Gebäude auf einem Sockel stand und man Stufen hinaufgehen musste, hatte das eine bestimmte Bedeutung und Wirkung. Es drückte eine bestimmte Wertigkeit, auch Erhabenheit, aus. Elemente wie diese wurden immer so gemacht, es hatte Jahrhunderte Zeit, ins kollektive Gedächtnis einzufließen, man weiß, was gewisse Baustile oder Stilmittel bedeuten oder ausdrücken sollen. In unserer modernen Zeit, in der wir so stolz darauf sind, dass wir Werte infrage gestellt haben, stellen wir auch solche Konventionen infrage und plötzlich kann ein Bahnhof ein Shoppingcenter sein, ein Shoppingcenter ein Museum oder umgekehrt.

Was ist für Sie der wesentliche Unterschied zwischen alten Gebäuden und Neubauten?
Es geht immer um Atmosphäre und das muss jeder für sich definieren. Eine gewisse Vorstellung davon haben wir jedoch alle: Die Art, wie wir leben und reisen, überall gibt es eine Sehnsucht nach einer gewissen Art von Authentizität. Das hat mit Ausdruck und Bedeutung zu tun, mit Material und mit Schmuck. An Häusern früher wurde viel Dekorationsaufwand betrieben, es ging auch um das Präsentieren. Und das sieht man heute noch gern. Letztlich ist es eine Frage des kulturellen Anspruchs, den man als Gesellschaft an die gebaute Umgebung stellt.

Aber sind es nicht auch Menschen, die einem Gebäude Leben einhauchen?
Natürlich, Menschen können sich ganz prinzipiell sehr gut auch in sehr kargen räumlichen Verhältnissen einrichten und ausdrücken, aber das ist eine ganz andere Diskussion. Wenn wir von historischer Bausubstanz reden, dann können wir von einer Art Energie reden, die in der Geschichte der Gebäude gespeichert ist. Auch die Energie der Menschen, die das Haus gebaut haben. Wenn ein Handwerker eine schöne Stuckdecke macht und Tage wie Wochen damit verbringt, ist diese Energie in der Decke gespeichert und wirkt auch auf den Raum zurück und drückt einen Wert aus. Das ist es auch, was mich als Architekt an der historischen Bausubstanz interessiert. Wir haben in der Südweststeiermark ein ehemaliges Jagdhaus in ein Wohnhaus umgebaut. Hier hat die Geschichte des Bestands in gewisser Weise die aktuellen Überlegungen zum Umbau bestimmt, es musste also das Historische mit neuen Anforderungen in Einklang gebracht werden. So gesehen wird jedes Ergebnis immer von der Geschichte beeinflusst. Und die bleibt damit idealerweise in irgendeiner Form der Neuinterpretation erlebbar und spürbar.   

Geht unsere Gesellschaft sorgsam genug mit alten Dingen um?
Da bin ich zwiegespalten. Es gibt schon eine Grundtendenz, zu sagen, Alt ist gut und Neu ist schlecht. Aber diese Sichtweise ist zu einfach. Nicht alles, was hundert Jahre alt ist, ist auch zwangsläufig gut, auch damals hat man viel Fragwürdiges gebaut. Zum Glück gibt es eine gewisse Gnade der Geschichte. Im Sinne eines baukulturellen Wertes kann man Objekte ja auch bewerten. Viele Bauherrn sind wiederum nicht mehr bereit, sich mit Bestand auseinanderzusetzen und glauben, es ist einfacher, wenn man neu baut. Inzwischen ist es so, dass wirklich historische Gebäude des 17., 18., 19., aber auch des frühen 20. Jahrhunderts Bestandsressourcen darstellen, die man schon rein aus ökologischen Gründen nutzen muss. Da ist die Graue Energie (also jene Energie, die für Herstellung des Gebäudes, der Rohstoffe und Vorprodukte dafür sowie alle nachgelagerten Prozesse inkl. Transport benötigt wird, Anm.) abgearbeitet, die Gebäude sind in der Regel spannende und interessante Raumressourcen, die man nutzen kann und muss. Und zwar nicht nur im Sinne der Erhaltung, sondern auch im Sinn des Weiterbauens. Das ist für mich ein ganz wichtiger Begriff, Menschen machen das seit jeher – und früher mitunter hemmungslos. Da wurden die Fassaden ganzer Plätze in Städten einem neuen Stil angepasst, Häuser wurden über Jahrhunderte erweitert, vergrößert und neuen Bedürfnissen angepasst. Die Frage, ob das richtig oder falsch ist, ist in der Zeit, in der dies geschieht, immer schwer zu beantworten. Doch dass man Dinge interpretiert oder weiternutzt, ist eine tolle und auch vernünftige Sache.

Was ist für Sie ein gutes Beispiel für nachhaltiges Bauen in früheren Zeiten?
Für mich ist das die Scuola San Rocco in Venedig, die Ende des 16. Jahrhunderts gebaut wurde und heute noch so aussieht, wie sie Canaletto im 18. Jahrhundert gemalt hat, außer dass irgendwann Strom eingeleitet wurde. Ein unantastbares Gebäude auf Grund seiner Schönheit. Der Unterschied ist, dass damals für die Ewigkeit gebaut wurde und heute für die Rendite. Das eine ist genauso extrem wie das andere. Aber es ist wichtig, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, was es heißt, im Sinne der Gemeinschaft und im Sinne eines Kontextes zu bauen, also für die Gesellschaft. Jeder muss sich im Klaren sein, dass er etwas baut, das auch für andere relevant ist.

Was raten Sie Menschen, die vor einer Aufgabe stehen, ein historisches Gebäude sanieren oder revitalisieren zu wollen?
An erster Stelle steht die atmosphärische Frage an den Bauherrn oder an mich als Architekten, ob man etwas spürt oder nicht. Ist das der Fall, ist damit auch der erste Schritt getan. Der zweite Schritt wäre die Frage, wie ich Funktionen und Themen, die ich in diesem Gebäude implementieren möchte, unterbringe, ohne die Atmosphäre zu zerstören. Wenn man sich gegen den Erhalt entscheidet, sollte die Frage gestellt werden, welchen Wert, welche Bedeutung das Neue hätte, das an dessen Stelle gesetzt werden soll.

Was ist Ihr persönlicher Zugang zum Thema Revitalisierung?
Wir arbeiten mit Altbeständen seit 25 Jahren. Meine Meinung hat sich seither stark geändert. Früher war für mich eine bestimmte  Doktrin – wie das auch der Denkmalschutz vertreten hat – gültig, dass man sagt: Alt ist Alt und Neu ist Neu. Das muss so erkannt werden. Inzwischen interessiert mich diese Differenzierung überhaupt nicht mehr. Als interessantes Projekt sehe ich heute eines, bei dem man auf den ersten Blick gar nicht erkennt, was alt und was neu ist. Dennoch bleibt der Bestand wichtig – und natürlich auch die Atmosphäre. •

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